In welchem Kontext sind die digitalen Kinderrechte entstanden und welche Relevanz haben Sie aus Ihrer Sicht für den Alltag von Kindern und Jugendlichen?
Begrifflich noch etwas unscharf gefasst war das Recht von Kindern und Jugendlichen auf altersangemessene Medienzugänge schon in der Ursprungsfassung der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) von 1989 verankert. Mit der 2016 vom Europarat verabschiedeten „Sofia-Initiative“ und den 2018 ausgegebenen Empfehlungen für die EU-Mitgliedsstaaten sind die Rechte dann endlich für die neuen Herausforderungen der digitalen Welt konkretisiert worden.
Die in den Empfehlungen versammelten Leitlinien verdichten sich letztlich zu einem „Grundrecht“ von Kindern und Jugendlichen auf eine unbeschwerte Teilhabe im digitalen Raum. Bei diesem werden die Rechte junger Menschen auf Zugang und Teilhabe, Schutz und Sicherheit sowie Bildung und Förderung im Gesamtzusammenhang gedacht.
Die besondere Relevanz für den Alltag von Kindern und Jugendlichen liegt auch darin, dass jungen Menschen nunmehr auch in erzieherischen und pädagogischen Kontexten gleichberechtigte Zugänge zur digitalen Welt zu offerieren sind. Abseits einer einseitigen Beschränkung aus Gründen des (Kinder-)Schutzes sollen diese explizit auch digitale Teilhabemöglichkeiten und Angebote zur Medienkompetenzförderung beinhalten.
Welche Bedeutung ergibt sich daraus für die Arbeit der Fachkräfte im Kinderschutz bzw. der Jugendhilfe?
Bereits im Jahr 2018 beschloss die Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) eine Strategie für eine zeitgemäße und effektive Weiterentwicklung eines Kinder- und Jugendmedienschutzes, für die die UN-Kinderrechtskonvention der zentrale Bezugsrahmen war. Der sogenannte Kieler Beschluss sah auch eine gleichrangige Verankerung von Teilhabe, Schutz und Förderung vor, um jungen Menschen eine unbeschwerte Teilhabe im digitalen Raum zu ermöglichen.
Mit dieser Neuausrichtung soll der bis dato prägende restriktiv-bewahrende Fremdschutz um die wichtige Perspektive des erzieherischen Schutzes ergänzt werden, bei dem mit präventiven Maßnahmen junge Menschen frühzeitig zu einem Selbstschutz befähigt werden, um den Risiken der digitalen Welt (im Ideal) selbst aus dem Weg gehen bzw. sie bewältigen zu können.
Nimmt man diesen Perspektivwechsel in den Handlungsfeldern von Kinderschutz und Jugendhilfe ernst, dann stellt sich für die Fachkräfte gar nicht mehr die Frage, ob sie den betreuten Kindern und Jugendlichen in den Einrichtungen digitale Zugänge, die sie längst selbstverständlich im Alltag etabliert haben, zur Verfügung gestellt werden, sondern vielmehr, wie diese an Schutz und Sicherheit orientiert auszugestalten und aktiv zu begleiten sind.
Wir freuen uns schon sehr auf Ihre Beiträge beim 14. Kinderschutzforum am 04.-05. September in Hannover. Neben dem Vortrag „Verändertes Auf- und Heranwachsen in der digitalen Welt: Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen verstehen“ bieten Sie dort auch einen Workshop zu digitalen Kinderrechten und ihrer Bedeutung für die Praxis an. Ohne zu viel zu verraten: Welche konkreten handlungspraktischen Empfehlungen zur Umsetzung/Stärkung von digitalen Kinderrechten möchten Sie mit den Fachkräften in Ihrem Workshop diskutieren?
Im Workshop wird die skizzierte ganzheitliche Perspektive auf die konkreten Herausforderungen in den verschiedenen pädagogischen Handlungsfeldern übertragen.
Das beinhaltet erstens die Notwendigkeit einer angemessenen konzeptionellen Ausrichtung von Hilfeeinrichtungen im Sinne eines Medienkonzeptes. Und zweitens die Erweiterung der auf technischen Schutzinstrumenten, Verboten, Beschränkungen und Notfallplänen basierenden „reinen“ Schutzkonzepte (etwa im Hinblick auf digitale sexuelle Gewalt, Medienabhängigkeit, Extremismus und Hass im Netz) zu Präventions- und Schutzkonzepten, mit denen das pädagogische Handeln auch auf präventiv-befähigende Maßnahmen, partizipative Beteiligungsmöglichkeiten und Peer-to-Peer-Ansätze setzt und so der ganzheitlichen Perspektive einer unbeschwerten Teilhabe junger Menschen im digitalen Raum angemessen Rechnung trägt.
Herzlichen Dank!